Das Immunsystem - Evolution und Bewegung

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Die Evolution des menschlichen Immunsystems

 

Der moderne Mensch (Homo Sapiens, lat. „vernünftiger Mensch“) blickt bereits auf eine sehr lange Geschichte zurück. Er entwickelte vor etwa 200.000 Jahren eine eigenständige Linie unter den Hominini (Gattungsgruppe Mensch) und bildete fortan die für uns heute typischen Erkennungsmerkmale wie den aufrechten Gang aus. Nach der „Out of Africa“-Theorie hatte er seine Wurzeln im östlichen Afrika von wo er sich anschließend über die ganze Welt ausbreitete. Neuesten Ausgrabungen in Marokko zufolge begann sein Aufstieg jedoch schon viel früher (1).

"Wir dachten lange Zeit, dass die Wiege der Menschheit vor etwa 200.000 Jahren irgendwo in Ostafrika lag. Unsere Daten zeigen aber, dass sich Homo sapiens bereits vor etwa 300.000 Jahren über den gesamten Kontinent ausgebreitet hat." – JJ. Hublin, 2017

 

Sicher ist jedenfalls, dass die Eroberung der Welt nicht ohne ein hoch entwickeltes, körpereigenes Abwehrsystem funktionierte. Der Homo Sapiens konnte sich dabei stets auf eine komplexe Verteidigung verlassen - das menschliche Immunsystem.

Dessen Entwicklungsgeschichte beginnt bereits mit der Entstehung erster Lebewesen. Nachdem der Mensch aus den unterschiedlichsten Gründen Afrika verlassen und neue Territorien erobert hatte, wurde das Immunsystem zahlreichen Belastungen (veränderte klimatische Bedingungen, neue Erreger, unbekannte Nahrungsmittel usw.) ausgeliefert. Es musste sich stets anpassen, hat gelernt, war ab und an überfordert, hat schlussendlich aber dafür gesorgt, dass sich der Homo Sapiens als einziger Überlebender der Hominini über die ganze Welt verteilen konnte. Das menschliche Immunsystem war also für die Eroberung der Welt mitverantwortlich, weshalb es als „Lebensversicherung des Menschen“ bezeichnet werden kann.

„Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn, außer im Lichte der Evolution.“ – T. Dobzhaky, 1973

 

Das Immunsystem lässt sich heutzutage vereinfacht in zwei wesentliche Mechanismen unterteilen- das angeborene und das erworbene Immunsystem. Das angeborene Immunsystem entfaltet seine Kompetenz schon von Geburt an und reagiert sehr unmittelbar und schnell, jedoch unspezifisch auf Pathogene. Das erworbene Immunsystem hingegen braucht bei der Abwehr von Erregern etwas länger, ist aber in seiner Wirkung genauer und lernt mit jedem neuen Eindringling dazu. Es entwickelt somit im Laufe des Lebens eine spezifisch erworbene Immunkompetenz und ein immunologisches Gedächtnis. Diese Mechanismen helfen in weiterer Folge bei der Wiedererkennung und Neutralisierung bereits erfolgreich bekämpfter Krankheitserreger. Das Immunsystem kann somit künftig schneller und gezielter auf eine erneute Konfrontation mit dem Erreger reagieren. Beide Mechanismen unterstützen sich gegenseitig und prägen fortan die immunologische Verteidigungslinie des Menschen (2).

„Das menschliche Immunsystem ist wie eine Lebensversicherung. Wird sie ausbezahlt ist es meistens schon zu spät.“
L. Pruimboom, 2017

 

Kurz erklärt:

Pathogene sind Krankheitserreger
wie Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten

Als Metabolismus wird der Stoffwechsel
im Organismus von Lebewesen genannt.

Hormesis beschreibt die dosisabhängige
positive gesundheitliche Wirkung von „schädlichen“ Reizen

Neue Feinde für das Immunsystem

 

Obwohl sich die Belastungen der heutigen Zeit im Vergleich zu früher deutlich verändert haben, gelten die beschriebenen Mechanismen bis heute. Veränderte Bewegungs-, Ess- und Schlafgewohnheiten, soziale Veränderungen, Umweltverschmutzung, die Konfrontation mit neuen Pathogenen, uvm. sind heutzutage mitverantwortlich dafür, dass sich das Immunsystem einmal mehr großen Herausforderungen stellen muss. Normalerweise sind diese veränderten Rahmenbedingungen kein Problem für unser ausgeklügeltes Abwehrsystem. Treten diese Faktoren jedoch in kurzer Zeit und gehäuft auf, kann das über verschiedenste Mechanismen die Immunkompetenz limitieren. Bleibt dieser Zustand nun längerfristig aufrecht, droht der Beginn von chronischen Erkrankungen.

Alte Freunde für das Immunsystem

 

Das Fehlen evolutionär bekannter hormetischer Reize wie Kälte und Hitze, Hunger und Durst, wechselnde Sauerstoffbedingungen, sowie das Fehlen taktiler und metaboler Reize begünstigen diesen Kompetenzverlust. Werden diese alten Freunde wieder ins Leben integriert, so findet das Immunsystem zurück zu seinem Gleichgewicht. Immunologische Marker kehren auf Normalniveau zurück und entzündliche Prozesse werden gemindert. Positive Effekte lassen sich dadurch nicht nur immunologisch festhalten, sondern zeigen auch deren Wirkung hinsichtlich des Stoffwechsels. Kaltes Duschen, intermittierendes Fasten, Atemübungen, körperliche Aktivität, usw. können dem Immunsystem und dem Stoffwechsel somit helfen seine Kompetenz wieder zu erlangen (3).

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Körperliche Aktivität und das Immunsystem

 

Körperliche Aktivität spielt eine entscheidende Rolle für ein gut funktionierendes Immunsystem. Regelmäßige Bewegung und strukturiertes Training reduzieren das Risiko an einer ansteckenden Krankheit, wie viralen und bakteriellen Infekten zu erkranken. Auch chronische Erkrankungen treten bei aktiven Personen deutlich weniger häufig auf. Die Anzahl an Publikationen des dazugehörigen wissenschaftlichen Fachbereichs der „Exercise Immunology“ hat sich in den letzten Jahrzehnten schlagartig vergrößert. Er untersucht die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen körperlicher Aktivität und dem Immunsystem. Durch neue Untersuchungsmöglichkeiten werden heutzutage vertiefende und disziplinübergreifende Erkenntnisse gewonnen. Beispielsweise sei die Auswirkung von Bewegung auf die Darmgesundheit erwähnt (5).

Körperliche Aktivität gegen chronische Entzündung

 

Schon einzelne Bewegungseinheiten stimulieren die Produktion spezifischer Immunzellen, wobei dieser Effekt deutlich stärker ausfällt, wenn die gleiche Belastung regelmäßig durchgeführt wird. Dieser Stimulus lässt sich sowohl hinsichtlich der Anzahl und Funktion der ausgeschütteten Immunzellen, als auch hinsichtlich deren Einfluss auf den Stoffwechsel feststellen. Somit wirkt regelmäßige körperliche Aktivität auch positiv auf chronisch entzündliche Prozesse. Sie führt zu einer Abnahme von entzündungsfördernder
(Bauch-)Fettmasse und in weiterer Folge zu einem veränderten, entzündungshemmenden Klima innerhalb der Fettzelle. Aktive Muskulatur wiederum unterstützt diesen Prozess durch die Ausschüttung spezifischer Substanzen (Myokine), womit im ganzen Körper ein entzündungshemmender Effekt erzeugt wird (4)(6).

Dauer und Intensität der körperlichen Aktivität

 

Die Intensität und Dauer der körperlichen Aktivität spielen dabei eine wichtige Rolle bei den genannten Effekten. Regelmäßige Ausdauerbelastungen bei moderater Intensität von 60 bis 75 Prozent der eigenen maximalen Herzfrequenz zeigen bereits positive Auswirkungen auf die oben genannten Mechanismen. Wettkampfsituationen über mehrere Stunden hingegen, wie beispielsweise bei einem Marathon, können jedoch zu einem gegenteiligen Ergebnis führen. Während das sportwissenschaftlich begleitete Training das Immunsystem fördert, stellt der Wettkampf selbst, eine kurz- bis mittelfristige immunologische und metabole Überlastung dar. Dies erfordert in der Zeit nach dem Wettkampf eine strukturierte Planung regenerativer Maßnahmen. Bestimmte Nahrungsmittel, Schlafhygiene aber auch die Einhaltung von Hygienestandards spielen hier genauso eine Rolle wie ein sportpsychologisches Monitoring (5)(6).

Körperliche Aktivität und Infektanfälligkeit

 

Spannend ist die Frage, ob körperliche Aktivität die Infektanfälligkeit erhöht. Lange Zeit wurde die Theorie vertreten, dass nach einer intensiven Belastung, wie dem oben beschriebenen Wettkampf, das Risiko für eine Infektion der oberen Atemwege aufgrund geminderter Immunfunktion gesteigert wird. Die Theorie des „Open Window“-Effekts entstand durch wissenschaftliche Studien, bei denen Sportler nach dem Wettkampf subjektive Einschätzungen zu ihrem Gesundheitszustand dokumentierten. Mittlerweile gibt es immer mehr Hinweise dafür, dass nicht ein geschwächtes Immunsystem, sondern andere Faktoren für die Infektanfälligkeit verantwortlich sind. Allgemeiner Gesundheitszustand und Trainingsstatus des Athleten, Nährstoffmangel, große Menschenansammlungen, psychischer und mentaler Stress vor, während und nach dem Wettkampf sind hier genannte potentielle Risikofaktoren. Die „Open Window“-Hypothese und eine immunsuppressive Wirkung nach körperlicher Aktivität sind demnach umstritten. Durch regelmäßige moderate körperliche Aktivität kommt es vielmehr zu einem bis zu 20% geminderten Infektionsrisiko der oberen Atemwege, wie eine 12-monatige Beobachtungsstudie festgestellt hat (6)(7).

 

Auf einen Blick:

  • Die menschliche Evolution, die Körperwahrnehmung und das Immunsystem entwickelten sich miteinander.

  • Das Immunsystem besitzt Kompetenzen um Pathogene aber auch krankhafte körpereigene Zellen zu neutralisieren.

  • Durch diese Kompetenz bildete sich ein immunologisches Gedächtnis.

  • Das Immunsystem wird grob in zwei Mechanismen unterteilt - in das angeborene und in das erworbene Immunsystem.

  • Regelmäßige moderate Bewegung zeigt den größten Nutzen für das Immunsystem und gegenüber entzündlichen Prozessen.

  • Körperliche Aktivität stimuliert das Immunsystem, wobei die Dauer und Intensität eine entscheidende Rolle spielt.

  • Das Risiko an Infektionen zu erkranken wird durch körperliche Aktivität vermindert.

 
 

Evolutionärer Zusammenhang von körperlicher Aktivität und Immunsystem

 

Evolutionär betrachtet macht eine erhöhte Alarmbereitschaft des Immunsystems während Bewegung durchaus Sinn. Körperliche Aktivität war notwendig um auf potentielle Gefahren reagieren zu können. Sie aktiviert dazu im ersten Schritt das sympathische Nervensystem, wodurch es zu einer Ausschüttung von neurologischen Substanzen wie Adrenalin und Noradrenalin kommt. Dadurch wird die Produktion von spezifischen Immunzellen stimuliert und der Körper befindet sich nun im „Fight and Flight“ Modus. Es gilt die ganze Aufmerksamkeit und Energie der Gefahrenquelle zu widmen.

Die Herz- und Atemfrequenz wird erhöht, der Blutdruck steigt, die Muskulatur wird mit Energie versorgt und die Sinnesorgane werden geschärft. Verdauungsprozesse werden auf ein Minimum reduziert. Das Stresssystem schafft somit ideale Voraussetzungen um dem auslösenden Reiz zu begegnen. Das Immunsystem wiederum ist gleichzeitig in der Lage mögliche Verletzungen und Krankheitserreger zu erkennen und zu neutralisieren. Ist die Gefahr gebannt, normalisiert das später und milder ablaufende hormonelle Stresssystem (Cortisol) die Alarmbereitschaft.

Infobox:
Die klinische Psycho-Neuro-Immunologie
beschäftigt sich mit den Wirkmechanismen der einzelnen Systeme im Körper
und deren regulierende Kommunikation untereinander
über Hormone, Neurotransmitter und Immunbotenstoffe.

Zusammenfassung

Die positive Wirkung von sportlicher Aktivität auf das Immunsystem ist seit längerem bekannt und wissenschaftlich bewiesen. Die individuellen Ansprüche und Voraussetzungen jedes Einzelnen erschweren jedoch allgemeingültige Aussagen hinsichtlich Intensität und Dauer und es bedarf daher einer professionellen Betreuung unter Berücksichtigung mehrerer Einflussfaktoren.

 
 

Referenzen:

(1) Hublin, J.-J. et al. New fossils from Jebel Irhoud, Morocco and the pan-African origin of Homo sapiens. Nature, 2017

(2) Sedlacek HH. Immunologie - die Immunabwehr des Menschen: Schutz, Gefahren, Erkrankungen. Berlin Boston, De Gruyter. 2014

(3) Pruimboom, L., Muskiet, FAJ. Intermittent living; the use of ancient challenges as a vaccine against the deleterious effects of modern life—a hypothesis. Med Hypotheses. 2018 (120), 28-42.

(4) Pedersen, B.K. The anti-inflammatory effect of exercise: its role in diabetes and cardiovascular disease control. Essays Biochem. 2005, 42, 105–117

(5) Nieman D.C., Wentz L.M. The compelling link between physical activity and the body's defense system. J Sport Health Sci. 2019 (8), 201–217.

(6) Alack K., Pilat C., Krüger K. Current knowledge and new challenges in exercise immunology. Dtsch Z Sportmed. 2019, (70), 250-260.

(7) Campbell, J.; Turner, J. Debunking the myth of exercise-induced immune suppression: Redefining the impact of exercise on immunological health across the lifespan. Front. Immunol. 2018, 9, 648.

 
 
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Für den Inhalt
verantwortlich: 

Healthquarter
Autor:
Mag. Andreas Altenhofer
Co-Autor: Gerhard Altenhofer, MSc

info@healthquarter.at

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